Institutionelles Schutzkonzept

Die Freiwilligendienste im Erzbistum Hamburg sind ein Ort, an dem Gewalt jeglicher Form keinen Platz findet. Im institutionellen Schutzkonzept stehen Maßnahmen, die ergriffen werden, um alle Teilnehmenden vor Gewalt und Diskriminierung zu schützen. Auch der Umgang mit Verdachtsfällen und ein Interventionsleitfaden für den Fall, dass sexualisierte Gewalt trotz unserer Schutzmaßnahmen geschieht, sind dort zu finden.

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Institutionelles Schutzkozept

Impressum

Herausgeber: Erzbischöfliches Generalvikariat, Freiwilligendienste im Erzbistum Hamburg, Text: Leonie Theißen, Stand: August 2024

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
  2. Begriffsbestimmungen
  3. Grundhaltung
  4. Risiko- und Potenzialanalyse
    1. mit den Freiwilligen
    2. mit dem Team
    3. mit den Honorarkräften
    4. mit den Anleiter:innen
  5. Beschwerdeverfahren/-management
  6. Personalverantwortung, Fort- und Weiterbildungen
  7. Verhaltenskodex
  8. Notfallplan: Intervention, Aufklärung und Aufarbeitung von Verdachtsmomenten
    1. Umgang mit Grenzverletzung
    2. Verdacht auf Übergriffe zwischen den Freiwilligen (Peergewalt)
    3. Verdacht auf Übergriffe durch das Team
    4. Rehabilitationsverfahren bei ausgeräumtem Verdacht
  9. Auflistung der Kooperation von Fachleuten
  10. Anhang
    1. Verhaltenskodex
    2. Interventionsleitfaden
  11. Literatur

Das vorliegende Schutzkonzept orientiert sich an dem vergangenen Schutzkonzept des wegen Umstrukturierung nicht mehr bestehenden Referats Kinder und Jugend im Erzbistum Hamburg und wurde unter Beteiligung von Freiwilligen sowie von freien und fest angestellten Mitarbeiter:innen erstellt.

1. Einleitung

Die Freiwilligendienste im Erzbistum Hamburg vermitteln Interessierten Plätze für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) und den Bundesfreiwilligendienst (BFD) in gemeinwohlorientierten Einrichtungen der Erziehung und Bildung, Altenhilfe, Gesundheitspflege und Sozialen Fürsorge. Ein Freiwilligendienst dauert in der Regel 12 Monate und bietet jungen Menschen ab 16 Jahren in Gestalt eines Lern- und Orientierungsjahres die Möglichkeit, neben der persönlichen Entwicklung auch die Vorteile eines gesellschaftlichen Engagements zu erfahren. Diese Entwicklung wird von den Freiwilligendiensten in Form der gesetzlich vorgeschrieben Bildungstage pädagogisch begleitet. Die Freiwilligen werden zu Beginn ihres Dienstes einer von fünf festen Seminargruppen zugeteilt, die aus 25-30 Freiwilligen besteht und mit der sie vier Mal für eine Woche auf ein Bildungsseminar fahren. Freiwillige, die 27 Jahre oder älter sind, nehmen nicht an den Seminaren im Internatsbetrieb teil, sondern besuchen Einzelbildungstage ohne Übernachtung.

Die Bildungsseminare werden von einer Bildungsreferentin/einem Bildungsreferenten sowie zwei Honorarkräften (Co-Referet:innen) begleitet. Bei den Honorarkräften handelt es sich um Studierende im durchschnittlichen Alter von 20-26 Jahren. Die hauptverantwortlichen Bildungsreferent:innen sind auch über die Seminarwochen hinaus für die Freiwilligen ansprechbar. Diese Ansprechbarkeit bezieht sich auf formelle Fragen rund um den Dienst sowie das Wohlbefinden in der Einsatzstelle.

In den Einsatzstellen werden die Freiwilligen von einer Anleitungsperson betreut. Diese soll sie vor allem in der Phase der Einarbeitung eng begleiten, aber auch während des gesamten Dienstes eine vertrauensvolle Ansprechperson sein. Sie soll regelmäßige Reflexionsgespräche (=Anleitungsgespräche) mit dem/der Freiwilligen führen. Die Anforderungen und Aufgaben der Anleitungsperson werden den Einsatzstellen kommuniziert. Außerdem bieten die Freiwilligendienste den Anleitungen Unterstützung in unterschiedlichen Formen an (digitale Themenbausteine und offene Sprechstunden zum Jahrgangsauftakt, Workshoptage, Anleitungsmaterial).

Die Aufgabe, die jungen Erwachsenen während ihres Freiwilligendienstes zu schützen, wird sich also von den Einsatzstellen und den Freiwilligendiensten geteilt. Entsprechend eng wird die in der Kooperationsvereinbarung festgelegte Zusammenarbeit angestrebt.

Die Einrichtungen, in denen die Freiwilligen ihren Dienst absolvieren, haben jeweils eigene Schutzkonzepte. In diesen Schutzkonzepten werden die Freiwilligen in der Regel mit den festangestellten Mitarbeiter:innen gleichgesetzt und nicht gesondert erwähnt. Da die Freiwilligen aus unserer Perspektive die Rolle als Klient:innen einnehmen, befinden sie sich hier in einer Doppelrolle, die wir im Rahmen der Implementierung des Schutzkonzepts an unterschiedlichen Stellen reflektiert haben und weiterhin in der Kooperation mit den Einsatzstellen im Blick behalten.

Als Träger der Freiwilligendienste und als Teil der katholischen Kirche nehmen wir unsere Verantwortung wahr und legen einen besonderen Fokus auf den Schutz unserer Klient:innen (der Freiwilligen) und auf die Prävention sexualisierter Gewalt. Auf unseren Veranstaltungen haben wir den Teilnehmenden gegenüber einen Schutzauftrag und das Ziel, dass sie optimalen Schutz, angemessene Beteiligungsmöglichkeiten und eine größtmögliche Förderung ihrer Entwicklung erfahren. Dies ergibt sich auch aus unserem christlichen Menschenbild und ist grundlegend für unsere Arbeit. Unser Anliegen, die Freiwilligen vor jeder Form von Gewalt zu schützen, verfolgen wir auf zwei Ebenen:

· Pädagogisch: wir unterstützen die Freiwilligen dabei, Selbstwirksamkeit zu erfahren und sich ihrer Rechte bewusst zu sein

· Institutionell: auf Grundlage dieses Schutzkonzepts prüfen wir kontinuierlich, wie wir den Schutz praktisch sicherstellen und verbessern können

Mit unserem Schutzkonzept wollen wir unseren Beitrag dazu leisten, die Freiwilligendienste im Erzbistum Hamburg zu einem sicheren Ort zu entwickeln, an dem jede Form von Gewalt und insbesondere sexualisierte Gewalt keinen Raum hat und wo betroffene Jugendliche Hilfe finden. Die Grundlage für ein sensibles und achtsames Handeln bietet die Rahmenordnung Prävention, die als Leitlinie für die Präventionsarbeit im gesamten Erzbistum Hamburg Anwendung findet[1].

Je mehr wir uns für die Prävention gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen und für die Situation Betroffener sensibilisieren, desto mehr Handlungssicherheit gewinnen wir in unserer Arbeit und tragen so dazu bei, Gewalt im Vorfeld zu verhindern, im konkreten Fall zu beenden und Betroffene zu schützen.

2. Begriffsbestimmungen

Der Schutz vor (sexualisierter) Gewalt kann nur gewährleistet werden, wenn die Schutzbeauftragten die Formen und Anzeichen von Gewalt kennen. Daher besuchen alle Mitarbeiter:innen bei den Freiwilligendiensten in regelmäßigen Abständen eine Präventionsschulung (siehe Kapitel 6). Zum Verständnis des Schutzkonzepts sollen auch an dieser Stelle einige Begriffe erläutert werden.

Sexualisierte Gewalt geschieht grundsätzlich immer aus einer Machtasymmetrie heraus, indem hierarchische Verhältnisse von Täter:innen ausgenutzt werden. Aus diesem Grund wird in Kapitel 4.2 im Zuge der Risikoanalyse ein expliziter Fokus auf die Machtdynamiken zwischen den Referent:innen und den Freiwilligen gelegt.

Bei sexualisierter Gewalt wird unter anderem zwischen „hands-on“ und „hands-off“ Gewalt unterschieden (UBSKM, 2022, S. 1). Bei hands-on Gewalt handelt es sich um sexuelle Handlungen am Körper wie beispielsweise die „Manipulation der Genitalien sowie schwere Formen sexueller Gewalt wie orale, vaginale und anale Penetration“ (UBSKM, 2022, S. 1). Hands-on Taten sind per Gesetz strafbare Missbrauchshandlungen. Hands-off Taten hingegen sind Gewalttaten, bei denen der Körper von Kindern oder Jugendlichen nicht berührt wird. Hierunter fallen unter anderem sexuelle Handlungen, die vor Kindern oder Jugendlichen durchgeführt werden (bspw. Masturbation), das Auffordern von Kindern oder Jugendlichen, sexuelle Handlungen an sich selbst vorzunehmen und das Zeigen pornografischer Materialien. Diese Formen von Gewalt sind ebenfalls strafrechtlich relevant.

Eine weitere Differenzierung, die bei der Bestimmung von Dimensionen sexualisierter Gewalt vorgenommen werden kann, ist die Unterscheidung zwischen physischer, psychischer, verbaler und digitaler Gewalt (vgl. Retkowski/Treibel/Tuider, 2018). Die Dimension der digitalen Gewalt ist ein mit der fortschreitenden Digitalisierung größer werdendes Feld, das im Kontext sexualisierter Gewalt noch am wenigsten erforscht und thematisiert ist. Digitale Gewalt ist dabei für das Umfeld am schwersten zu erkennen und stellt damit für Betroffene ein erhöhtes Risiko dar, keine Unterstützung zu erhalten. Physische Gewalt lässt sich mit der vorgehend beschriebenen hands-on Gewalt vergleichen. Verbale Gewalt bezieht sich auf Äußerungen, mit denen eine Person sexualisiert und/oder abgewertet wird. Psychische Gewalt tritt häufig in Peer-Groups auf und kann dazu führen, dass Personen durch Bedrohung oder Erpressung gegen ihren Willen zu Handlungen gezwungen werden.

Neben diesen Dimensionen gibt es verschiedene Formen sexualisierter Gewalt, die den Schweregrad einer Gewalttat definieren (vgl. Schlicher, 2020). Eine sexuelle Grenzverletzung setzt keine Intention der Person, die die Grenzverletzung ausübt, voraus. Sie kann unabsichtlich passieren und ist auch davon abhängig, was als persönliche Grenze wahrgenommen wird. Es besteht folglich die Schwierigkeit, dass eine Grenzverletzung nicht klar mit einer Handlung definiert werden kann. Eine weitere Herausforderung besteht darin, die unterschiedlichen Grenzen wahrzunehmen und zu akzeptieren, dass auch bei unbeabsichtigter Grenzverletzung Verantwortung übernommen werden muss.

Die zweite Form ist der sexuelle Übergriff (vgl. Schlicher, 2020). Dieser geschieht immer absichtlich und äußert sich beispielsweise in intentionalen Berührungen oder sexualisierten Aussagen. Oft sind sexuelle Übergriffe eine Vorbereitungshandlung auf die dritte Form: strafrechtlich relevante sexualisierte Gewalt. Hierbei handelt es sich unter anderem um „exhibitionistische Handlungen oder Vergewaltigung“ (Schlicher, 2020, S. 15). Die dargestellten Definitionen und Dimensionen sexualisierter Gewalt zeigen, dass diese in sehr verschiedenen Formen auftreten kann. Entsprechend vielseitig müssen die Schutzmaßnahmen sein, damit präventiv dem Risiko von sexualisierter Gewalt begegnet werden kann und ein achtsamer und grenzwahrender Umgang die Notwendigkeit der Intervention vorbeugt. Welche Maßnahmen dafür ergriffen werden müssen, zeigen die Risiko- und Potenzialanalysen. Vor der Aufführung dieser wird zunächst die Grundhaltung dargestellt, auf der unsere Arbeit aufbaut.

3. Grundhaltung

Wir wollen die Freiwilligen durch unsere pädagogische Begleitung in ihrem Lern- und Orientierungsjahr sowie bei der Entwicklung neuer Perspektiven unterstützen. Dabei legen wir einen Fokus auf die Individualität der Freiwilligen und fördern sie darin, ihre Stärken und Talente in die Gemeinschaft der Seminargruppe einzubringen und so Selbstwirksamkeit zu erfahren.

Unsere Zusammenarbeit mit den Freiwilligen erstreckt sich über verschiedene Bereiche (Erstkontakt im Bewerbungsgespräch, Seminarbegleitung, telefonische Beratung, Einsatzstellenbesuche u.a.). Besonders auf den Seminarwochen im Internatsbetrieb tragen die Bildungsreferent:innen dabei gemeinsam mit den Honorarkräften eine große Verantwortung für das körperliche, geistige und seelische Wohl der jungen Menschen.

Zur Erfüllung dieser Verantwortung trägt eine auf unserem christlichen Menschenbild basierende Grundhaltung bei, um die professionelle Beziehung mit einem angemessenen Nähe-Distanz-Verhältnis zu gestalten und eine Kultur der Achtsamkeit zu schaffen. Darüber hinaus gelingt die Beziehungsgestaltung dadurch, dass wir den Freiwilligen mit Wertschätzung, Respekt und Vertrauen begegnen und ihre Rechte, ihre Unterschiedlichkeit und individuellen Bedürfnisse achten. Weiterhin vertrauen wir auf die Aufrichtigkeit der jungen Menschen, nehmen ihre Gefühle ernst und sind ansprechbar für diverse Themen, die sie in ihrer Lebenswelt beschäftigen. Wenn Freiwillige in oder außerhalb ihres Freiwilligendienstes von sexualisierter Gewalt betroffen sind, bieten die Referent:innen schnelle und kompetente Hilfe.

4. Risiko- und Potenzialanalyse

Die vorangehenden Kapitel zeigen, wie heterogen unsere Zielgruppe ist und wie vielseitig die Kontaktpunkte sind, die wir mit den Freiwilligen und den Einsatzstellen haben. Entsprechend umfangreich haben wir auch die Risiko- und Potenzialanalyse mit unterschiedlichen Gruppen durchgeführt. Besonders die Umstände und Rahmenbedingungen der Seminare wurden dabei in den Blick genommen und auf Situationen untersucht, die von Täter:innen ausgenutzt werden könnten. Den identifizierten Risiken stellen wir Schutzmaßnahmen entgegen, die in den folgenden Unterkapiteln dargestellt werden. Dabei ist zu erwähnen, dass trotz intensiver Analysen und Präventionsmaßnahmen ein 100%iger Schutz nie sichergestellt werden kann und daher auch der Intervention ein Kapitel gewidmet wird. Wir haben im Implementierungsprozess Risiko- und Potenzialanalysen mit den Freiwilligen aus dem Jahrgang 2023/24, dem pädagogischen Team der Freiwilligendienste, den Honorarkräften und den Anleiter:innen durchgeführt. Die Methoden haben wir je nach Zielgruppe angepasst und in den folgenden Unterkapiteln mit den Ergebnissen aufgeführt.

4.a mit den Freiwilligen

Die Risiko- und Potenzialanalyse mit den Freiwilligen haben wir mit allen fünf Gruppen des Jahrgangs 2023/24 auf den Einführungsseminaren im Zeitraum September-November 2023 durchgeführt. Dabei haben wir zwei Methoden genutzt. Im ersten Schritt haben wir die unterschiedlichen Räume des Bildungshauses in Salem und dem Niels-Stensen-Haus in Reinbek untersucht. Dafür haben die Freiwilligen Klebepunkte in unterschiedlichen Farben bekommen, um ihr Wohlbefinden in verschiedenen Räumen einzustufen. Die vier Gruppen, die das erste Seminar in Salem hatten, haben die Räume sehr ähnlich eingeschätzt.

Mit Abstand am schlechtesten in Bezug auf Wohlbefinden wurden die sanitären Anlagen bewertet. Zu den Bädern, die von den Schlafräumen abgehen, wurde angemerkt, dass sie nicht abschließbar sind und sich Teilnehmende dadurch unsicher fühlten. Dieser Umstand wurde während der Methode das erste Mal angemerkt und konnte für die folgende Seminare behoben werden, in dem die Referent:innen bei der Hausverwaltung nach den Schlüsseln gefragt haben. Zu den Toiletten auf den Fluren haben Teilnehmende angemerkt, dass sie sehr dunkel sind und es wenig Privatsphäre gibt. Durch die Größe des Hauses ist es parallel von mehreren Gruppen belegt und die Toiletten werden nicht nur von den Freiwilligen, sondern auch von Schulklassen oder anderen Gruppen, die zeitgleich dort sind, genutzt. Diese Zugänglichkeit wurde als Risikofaktor gewertet.

Der Seminarraum wurde überwiegend positiv bewertet. Als Schutzfaktor wurde die von den (Co-) Referent:innen geschaffene Atmosphäre genannt, in der sich die befragten Teilnehmende wohlfühlen und in der sie Probleme ansprechen können. Andere gaben an, nicht gerne vor der Gruppe zu sprechen und das Risiko zu sehen, ausgelacht zu werden. Wir bemühen uns, diesem Risiko zu begegnen, indem wir unsere Forderung nach einem respektvollen Umgang wiederholt betonen und in beobachteten wiederholten Vorfällen Einzelgespräche führen, um Freiwillige auf ein Fehlverhalten anzusprechen. Zu den räumlichen Gegebenheiten wurden keine Anmerkungen gemacht.

Die Schlafräume wurden von der Mehrheit positiv bewertet. Die Teilnehmenden fühlen sich damit wohl, dass sie die Aufteilung selbst übernehmen und so bestimmen, mit wem sie sich ein Zimmer teilen. Einige der Befragten haben als Kritik geäußert, dass es zu wenig Einzelzimmer gibt und dass immer zwei Zimmer über einen Balkon verbunden sind, wodurch die Zimmer leicht einsehbar sind. Diesem Risiko treten wir im Rahmen der Möglichkeiten entgegen, in dem wir auch bei Zimmern mit geteiltem Balkon auf eine Geschlechtertrennung achten.

Auch die Lage der Schlafräume der (Co-) Referent:innen wurde abgefragt. Während einige die Nähe zwischen den Zimmern der Freiwilligen und dem Flur mit den Zimmern der Teamenden auf Grund der guten Erreichbarkeit als Schutzfaktor benennen, fühlen sich andere Teilnehmende durch die Nähe kontrolliert und geben an, sich nicht ganz entspannen zu können. Wir bemühen uns, durch gute Beziehungsarbeit ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Freiwilligen zu schaffen, in dem sie sich durch unsere Anwesenheit nicht unwohl fühlen. Gleichzeitig befinden wir uns in einer kontrollierenden Rolle und sehen in unserer Nähe einen Schutzfaktor für Freiwillige, die sich bei erfolgreichem Aufbau der professionellen Beziehung bei Unterstützungsbedarf an uns wenden.

In dem Bildungshaus gibt es einen „Kneipenbereich“. Dieser ist so gelegen, dass die Teilnehmenden zwischen dem Seminarraum und ihren Zimmern dort durchgehen. Wenn sie sich für die Freizeitbeschäftigung beispielsweise Tischtennisbälle ausleihen, ist dies ihr Anlaufort. Der Kneipenbereich wird von allen Gästen des Hauses genutzt und die befragten Freiwilligen schildern Situationen, in denen dort eindeutig alkoholisiert Personen saßen. Von diesen haben sie sich „angestarrt“ und dadurch unwohl gefühlt.

Für das Bildungshaus in Salem ziehen wir das Fazit, dass sich die Freiwilligen vor allem auf Grund der fehlenden Privatsphäre durch die fremden Personen, die das Haus zeitgleich belegen, unwohl fühlen. Dies ist ein Umstand, den wir formal nicht ändern können. Wir ziehen für uns daraus die Konsequenz, den Freiwilligen mit unserer Haltung zu vermitteln, dass sie sich bei Sorgen an uns wenden können, damit wir uns im Rahmen der Möglichkeiten bemühen können, Lösungen zu finden.

Für die Räume des Niels-Stensen-Hauses haben wir die Ergebnisse der fünften Gruppe[2]:

Die sanitären Anlagen wurden von der Gruppe als sicherer Ort bewertet. Die Nähe zu den Schlafzimmern und die einzeln abschließbaren Kabinen der Duschen sorgen dafür, dass sich die Freiwilligen dort nicht unwohl fühlen.

Auch der Seminarraum ist von der Gruppe positiv bewertet worden. Ein abgewinkelter, aber offener Bereich des Raums mit Sofas wird in den Pausen gerne genutzt und dort fühlen sich die Freiwilligen wohl. Auch das an den Seminarraum angrenzende Giebelzimmer wurde von den Freiwilligen als sicherer Raum bewertet. Die Freiwilligen schätzen die Helligkeit durch die Fensterfront und die Ausstattung des Raums. Das Giebelzimmer wird vor allem abends von einigen Freiwilligen als Aufenthaltsraum genutzt. Hier haben wir die anonyme Rückmeldung bekommen, dass sich einzelne Freiwillige durch Gespräche und Fragen anderer Freiwilliger bezogen auf Sexualität und Partnerschaften unwohl gefühlt haben. Durch die Entfernung zu dem Aufenthaltsraum und den Schlafzimmern der (Co-) Referent:innen erhöht sich das Risiko, dass Freiwillige bei Spielen wie „ich hab noch nie“ oder „Wahrheit oder Pflicht“ Grenzverletzungen erleben und durch Gruppenzwang das Gefühl haben, nicht aus dem Spiel austeigen zu können. Anonyme Rückmeldeboxen stellen in diesem Fall einen Schutzfaktor dar. Freiwillige können uns niedrigschwellig von Vorfällen berichten und geben uns die Chance, zu reagieren. In diesem speziellen Fall gab es keinen Interventionswunsch. Stattdessen haben wir allgemein an die Sensibilität individueller Grenzen und das Vermeiden verbaler Übergriffigkeit erinnert.

Neben dem Hauptgebäude befindet sich eine Kapelle, die wir für die Durchführung unserer spirituellen Impulse benutzen. Diese wurde von einigen Freiwilligen als Raum bewertet, in dem sie sich unwohl fühlen. Als Grund dafür wurde vor allem die Dunkelheit benannt. Viele Freiwillige hatten in ihrem Leben noch nie Berührungspunkte mit religiösen Gebäuden und haben sich dadurch eingeschüchtert gefühlt. Wir haben als Konsequenz die dimmbaren Lichter heller gestellt und mit einzelnen Freiwilligen Gespräche geführt, die ein besonders hohes Unwohlsein geäußert haben. In diesen Gesprächen konnten wir den Freiwilligen die größten Sorgen nehmen und sie haben sich nach eigener Aussage anschließend wohler gefühlt. Die Offenheit und das Verständnis, mit der wir in solche klärenden Gespräche gehen, stellen an dieser Stelle einen Schutzfaktor dar. Außerdem haben wir für uns daraus die Konsequenz gezogen, auf den nächsten Seminaren bei der Einführung der Impulse deutlich zu kommunizieren, dass die Kapelle von uns als Ort für die spirituellen Impulse genutzt wird und für alle (unabhängig des eigenen Glaubens) ein freier Raum sein soll.

Die zweite Methode, mit der wir in beiden Seminarhäusern gearbeitet haben, wurde vom Zartbitter e.V. entwickelt und lässt die Teilnehmenden anhand eines Wimmelbilds mögliche Situationen einschätzen. Die Methode war für eine Klassenfahrt ausgelegt, lässt sich aber mit den räumlichen Gegebenheiten, Gruppendynamiken und Machthierarchien zwischen den Freiwilligen und den (Co-) Referent:innen mit unseren Seminaren vergleichen. Da sich diese Methode weniger auf Räumlichkeiten, sondern mehr auf das Rahmenprogramm und organisatorische Gegebenheiten bezieht, trennen wir hier bei der Auflistung der Ergebnisse nicht nach den Häusern.

Auf den ersten Seminaren wurde ein Risiko darin gesehen, dass sich die Teilnehmenden gegenseitig nicht kennen und teilweise sehr unterschiedlich sozialisiert sind. Dieser Umstand erschwert es, die Grenzen der anderen einzuschätzen und zu erkennen, welche Äußerungen im Spaß gesagt und aufgenommen werden. Auch haben die Teilnehmende ganz unterschiedliche Themen, die für sie sensibel sind und eventuell unangenehme Erinnerungen hervorrufen können. Der Umstand, dass die Freiwilligen so viel Zeit auf engem Raum verbringen, ohne sich gut zu kennen, stellt daher zu Beginn des Freiwilligendienstes einen Risikofaktor dar. Demgegenüber hat die Risiko- und Potenzialanalyse mit den Freiwilligen auch gezeigt, dass unser Programm das Kennenlernen in der Gruppe stark fördert. Unsere Einheiten zur Stärkung des Gruppenzusammenhalts stellen insofern einen Schutzfaktor dar.

Eine weitere Situation, über die im Zuge der Risiko- und Schutzfaktoren gesprochen wurde, waren Einzelgespräche zwischen Teilnehmenden und der Bildungsreferentin / dem Bildungsreferenten. Die Freiwilligen gaben an, sich in diesen Vier-Augen-Gesprächen grundsätzlich wohl zu fühlen. Als Ausnahme wurden Gespräche genannt, in denen Fehlverhalten von Freiwilligen angesprochen wird. Hierbei fühlten sie sich „ausgeliefert“. Die befragten Freiwilligen gaben an, sich in diesem Fall wohler zu fühlen, wenn sie eine weitere Person dabei hätten. In den seltenen Fällen, in denen wir Freiwillige auf Fehlverhalten in Einzelgesprächen hinweisen, ist es für uns wichtig, dies auf Augenhöhe und lösungsorientiert durchzuführen. Damit wollen wir das Risiko abschwächen, dass sich Freiwillige durch uns bevormundet oder degradiert fühlen.

Zu Beginn eines jeden Seminars werden die Regeln mit der Gruppe besprochen. Neben formellen Regeln wie dem Alkoholverbot und der Nachtruhe geht es hier auch darum, Richtlinien für einen grenzwahrenden Umgang miteinander aufzustellen. Dabei wird unter anderem auch der Gebrauch von Social Media thematisiert. Die gesamten Regeln sind für die Transparenz auch auf unserer Website veröffentlicht[3].

4.b mit dem Team

Alle fünf Bildungsreferent:innen sowie die Leitung der Freiwilligendienste wurden von uns im Januar 2024 in Form einer anonymen Umfrage in die Risiko- und Potentialanalyse einbezogen. Aus den Antworten der Kolleg:innen lassen sich folgende Ergebnisse ableiten:

Ein Schutzfaktor wird in der Beziehungsgestaltung gesehen, die ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit ist. Besteht eine vertrauensvolle und zuverlässige Beziehung zu den Freiwilligen, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass sich Freiwillige bei Unwohlsein an uns wenden und grenzverletzende Situationen und Strukturen frühzeitig unterbunden werden können. Wir gestalten die professionelle Beziehung zu den Freiwilligen, in dem wir unsere eigenen Grenzen klar abstecken und gleichzeitig nahbar bleiben, wodurch ein gutes Maß an Nähe und Distanz entwickelt werden kann. Diese Parallelität ist besonders wichtig, wenn eine beratende Rolle zu persönlichen und beruflichen Themen eingenommen wird.

Die Beziehung der Bildungsreferent:innen zu den Freiwilligen ist dabei immer dadurch geprägt, dass sie in vielen Bereichen auf unser Wissen und unsere Entscheidungen angewiesen sind. Dies wir von der Schweizer Sozialwissenschaftlerin Silvia Staub-Bernasconi als Modellmacht bezeichnet (vgl. Kraus/Spatscheck, 2012). Auch über weitere von Staub-Bernasconi definierte Machtformen verfügen die Referent:innen. Die Positionsmacht erhalten sie beispielsweise durch ihre Rolle als Seminarleitung. Auch über Artikulationsmacht verfügen sie in der Regel auf Grund des höheren Bildungsabschlusses und der längeren Lebens- und Berufserfahrung (vgl. Ebd.). Durch diese und weitere Faktoren besteht in der Beziehung zwischen den Freiwilligen und den Referent:innen eine Asymmetrie der Machtverhältnisse. Eine solcher Umstand birgt immer die Gefahr eines Machtmissbrauchs und stellt damit grundsätzlich einen Risikofaktor dar. Die Macht einer einzelnen Person wird in dem Moment abgeschwächt, in der sie geteilt wird, wie beispielsweise in dem aus zwei Honorarkräften und einer Bildungsreferentin/einem Bildungsreferenten bestehenden Seminarteam. Entsprechend erhöht schätzen die befragten Referent:innen das Risiko eines Machtmissbrauchs in Situationen ein, in denen sie allein mit Freiwilligen sind. Neben Ausnahmefällen auf den Seminaren ist das vor allem bei Tagesveranstaltungen der Fall. Treffen der #aktiff-AG und Bildungstage für die BFD27+ Gruppe werden in der Regel nur von einer Referentin/einem Referenten durchgeführt. Solche Veranstaltungen bieten den Referent:innen einen Raum, in dem sie keine Kontrolle durch Kolleg:innen erfahren und Machtmissbrauch oder Gewalt unentdeckt bleiben. Diesem Risiko begegnen wir mit folgenden Schutzmaßnahmen: Verhaltensregeln werden für alle sichtbar und nachvollziehbar gemacht und der Rahmen für den Tag wird transparent kommuniziert. Durch die verbindliche Anmeldung und die für alle Referent:innen einsehbar abgelegte Teilnehmendenliste hat nicht nur die durchführende Kraft einen Überblick über die Gruppe. Anschließend an die Veranstaltungen wird mit einer Kollegin/einem Kollegen über das Treffen gesprochen und es findet ein Austausch über mögliche Besonderheiten oder Auffälligkeiten statt.

Ein weiterhin genannter Ort mit Risikofaktoren für einen Machtmissbrauch ist das Bewerbungsverfahren. Die Mitarbeiter:innen im Sekretariat laden die Bewerber:innen ohne eine gemeinsame Absprache oder Kontrolle zu den Bewerbungsgesprächen ein. Diese erste Auswahl der Bewerber:innen stellt ein besonders Maß an Macht und damit das Risikopotenzial eines Machtmissbrauchs dar. Auch die Bewerbungsgespräche geben den durchführenden Referent:innen viel Macht, da sie bestimmte Einsatzstellen vorenthalten könnten oder Bewerber:innen absagen können, ohne dass die Gesprächsinhalte für Kolleg:innen transparent nachvollziehbar sind. Diesem Risiko wird begegnet, indem sich alle an den Leitfaden für Bewerbungsgespräche halten und bei Absagen durch die Referent:innen Rückfragen über das Gespräch von den Mitarbeiter:innen aus dem Sekretariat gestellt werden. Einen weiteren, unbeabsichtigten Schutzfaktor stellt die verhältnismäßig hohe Fluktuation im Team der Freiwilligendienste dar. Wenn neue Mitarbeiter:innen eingearbeitet werden, schauen sie bei möglichst jeder Kollegin/jedem Kollegen bei einem Bewerbungsgespräch zu.

Auf den Seminaren wird von den befragten Referent:innen ein Risiko darin gesehen, dass es (durch den Arbeitskontext bedingt) mehrere Zwänge und Vorschriften gibt, durch welche die Freiwilligen in ihren Grenzen verletzt werden können. Beginnend bei der Anwesenheitspflicht auf den Seminaren mit Übernachtung in den Bildungshäusern. Ein Zimmer und ein Bad mit anderen Freiwilligen zu teilen, kann ein Risiko darstellen. Diesem Risiko begegnen wir unter anderem dadurch, dass sich die Freiwilligen selbst auswählen, mit wem sie ein Zimmer teilen und nach Möglichkeiten bei Bedarf Einzelzimmer zur Verfügung gestellt werden. Auch zur Teilnahme am Programm und den Einheiten sind die Freiwilligen aufgrund des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich verpflichtet. Neben den thematischen Einheiten handelt es sich dabei häufig um gruppenpädagogische Elemente mit spielerischem Charakter. Um in diesen Situationen das Risiko zu verringern, dass Freiwillige in für sie unangenehme Situationen geraten, betonen die Referent:innen, dass Grenzen auch während der Arbeitseinheiten benannt werden können und durch eine fehlende Teilnahme an pädagogischen Angeboten keine negativen Konsequenzen für die Freiwilligen folgen werden. Die Referent:innen sind sich bewusst, dass ein Gefühl des Gruppenzwangs Freiwillige davon abhalten kann, ein solches Bedürfnis zu äußern und behalten daher die Gruppe aufmerksam im Blick und nehmen eine achtsame Haltung ein.

Ein weiters Risiko auf den Seminaren sehen die befragten Referent:innen im Moment des Feierabends auf den Seminaren. Wenn das Tagesprogramm vorbei ist und die Referent:innen ihre Reflexion starten, verbringen häufig Gruppen von Freiwilligen den Abend in einem Gruppenraum der Bildungshäuser. Oft entstehen in diesen Kontexten Gespräche oder Spiele über private Beziehungen der Freiwilligen. Auf Grundlage des anonymen Feedbacks der Freiwilligen am Ende der Seminarwochen lässt sich sagen, dass sich nicht alle Beteiligten dabei wohl fühlen, aber aufgrund eines gefühlten Gruppenzwangs dennoch teilnehmen. Solange es keine klar benannten Äußerungen unter den Freiwilligen gibt und wir diese Rückmeldungen lediglich anonym erhalten, müssen wir unsere Schutzmaßnahmen darauf beschränken, die Gruppe an individuelle Bedürfnisse nach Privatsphäre zu erinnern und die Respektierung dieser anzumahnen. Eine weiter Schutzmaßnahme, mit der wir solche Situationen entschärfen, ist ein konsequentes Alkohol- und Drogenverbot auf den Seminaren.

Das Programm auf den Seminaren unterliegt einem strikten Zeitplan. Auch in Momenten, in denen die Freiwilligen Pausenzeit haben, müssen die Referent:innen neue Einheiten vorbereiten oder vergangenen Einheiten reflektieren. Es bleibt wenig Zeit für Einzelgespräche und obwohl den Freiwilligen eine stetige Ansprechbarkeit der Referent:innen kommuniziert wird, ist es in der Praxis häufig zeitbedingt nicht möglich, in Ruhe zu sprechen. Die Risikoanalyse hat ergeben, dass die Referent:innen besonders bei schüchternen Freiwilligen das Risiko sehen, dass sie nicht von sich aus auf die Seminarleitung zugehen und bei Bedarf ein Gespräch einfordern. Dieser Umstand könnte dazu führen, dass Fälle von Gewalt und Grenzverletzungen unentdeckt bleiben. Für eine niedrigschwellige Kontaktaufnahme zu den Referent:innen und einer Möglichkeit, anonym Feedback zu geben, stellen wir “Kummerkästen” auf. Diese werden von den Referent:innen täglich geleert. Auf diese Weise bemühen wir uns, das Risiko eines fehlenden Gesprächsangebots zu verringern.

Einen weiteren Schutzfaktor stellt die Partizipation der Freiwilligen dar. Auf den Seminaren werden sie in vielen Bereichen in Entscheidungen eingebunden. Beginnend bei der Themenwahl für das kommende Seminar über die Gestaltung der Impulse und Warm-Up-Spiele bis hin zu der Freiwilligenkonferenz haben die Freiwilligen viele Möglichkeiten, sich an der Gestaltung der Seminare zu beteiligen. Auch initiativ aufgebrachte Vorschläge der Freiwilligen nehmen wir gerne an und setzen sie im Rahmen der Möglichkeiten um. Letzteres wird von uns aktiv gefördert, indem wir uns regelmäßig Rückmeldungen der Freiwilligen einholen. Neben den benannten Kummerkästen nutzen wir die Methode der “Is-was-Runde“, bei der wir jeden Morgen in der Gruppe abfragen, ob vom vergangenen Tag Themen offengeblieben sind, oder es einen sonstigen Bedarf gibt, etwas anzusprechen. Am Ende jeder Woche holen wir uns für das gesamte Seminar zweiteilig Feedback ein. Neben einer Methode zur Gruppenreflexion lassen wir die Freiwilligen anonym Reflexionsbögen ausfüllen, bei denen explizit nachgefragt wird, was bei den folgenden Seminaren verbessert werden kann. Entsprechend gut wird auch die Feedback- und Fehlerkultur zwischen den Freiwilligen und den Referent:innen bei der Risikoanalyse eingeschätzt. Die Referent:innen halten die Seminare für einen Raum, in dem die Freiwilligen Fehler offen und angstfrei ansprechen können.

Auch innerhalb des Seminarteams (=Bildungsreferent:in und Co-Referent:innen) herrscht eine offene Fehlerkultur. Jeden Abend wird der Tag reflektiert und mit Kritik wird offen und lösungsorientiert umgegangen. Der Kontakt zwischen den Bildungsreferent:innen und den Co-Referent:innen erfolgt auf Augenhöhe und basiert auf gegenseitigem Respekt. Diese Haltung wird offen gelebt und von den Freiwilligen wahrgenommen, was wiederum als Vorbild für den Umgang mit Fehlern und Kritik dient und dadurch einen Schutzfaktor darstellt.

Die Feedback- und Fehlerkultur innerhalb des pädagogischen Teams (=Bildungsreferent:innen) hingegen wurde in der Umfrage schlecht bewertet. Zu der Zusammenarbeit im Büro und bei Veranstaltungen außerhalb der Seminare hat nur eine der sechs befragten Personen angegeben, dass es eine gute Feedbackkultur gibt. Drei Personen gaben an, dass Fehler gemacht werden dürfen und nur eine Person gab an, dass diese offen und angstfrei angesprochen werden können. Durch eine schlechte oder fehlende Feedback- und Fehlerkultur steigt das Risiko, dass Fehler geheim gehalten werden und somit nicht gut aufgearbeitet werden können. Das wiederum erhöht das Risiko, dass sich Fehler wiederholen. Um diesem Risiko zu begegnen, veranstaltet das Team Freiwilligendienste im August 2024 einen Fortbildungstag zum Thema Konfliktmanagement mit einer externen Referentin. Außerdem soll die Teamsupervision nach einer längeren Pause wieder aufgenommen werden. Unser Bewusstsein im Team und die allgemein herrschende Bereitschaft, die Feedback- und Fehlerkultur zu verbessern, bergen das Potenzial, dieses Risiko zeitnah zu beseitigen.

Die Freiwilligen werden während ihres Dienstes zu unterschiedlichen Situationen mit dem Thema Prävention sexualisierter Gewalt konfrontiert. Sie lernen die strukturellen Gegebenheiten und Machtdynamiken in ihren Arbeitsbereichen kennen und erfahren, wie die Beschwerde- und Interventionswege aussehen. Ihr erlerntes Wissen und die gesteigerte Achtsamkeit stellen für sie selbst und für andere einen Schutzfaktor dar. Gleichzeitig kann die Thematisierung von sexualisierter Gewalt eigene Erlebnisse triggern und die Freiwilligen verunsichern, weswegen sie gleichzeitig einen Risikofaktor darstellt. Die Präventionsschulungen werden daher von fachlich geschulten Referent:innen geleitet und bieten den Freiwilligen wiederholt die Möglichkeit, sich für eine Zeit zurückzuziehen oder bei Bedarf ein Einzelgespräch zu suchen. Gibt es während der Schulung besondere Vorkommnisse oder äußern einzelne Freiwillige eine erhöhte Sensibilität, wird dies im Seminarteam geteilt damit alle (Co-)Referent:innen in ihrem achtsamen Umgang aktiviert werden. Ein weiterer Ort, an dem die Prävention sexualisierter Gewalt mit den Freiwilligen thematisiert wird, ist der Einsatzstellenbesuch. Die besuchenden Referent:innen erfragen, ob das Schutzkonzept der Einrichtung mit den Freiwilligen thematisiert wurde und bitten gegebenenfalls um eine Nacharbeit. Außerdem werden die Freiwilligen gefragt, ob sich für sie seit der Präventionsschulung in der Arbeit in der Einsatzstelle etwas verändert hat. Dieser Teil des Einsatzstellenbesuchs öffnet den Raum für eine gemeinsame Thematisierung mit der Anleitung und bietet die Möglichkeit, Unsicherheiten in Bezug auf den Schutz vor (sexualisierter) Gewalt und Machtmissbrauch anzusprechen.

In der Risiko- und Potenzialanalyse mit den Bildungsreferent:innen wurde konkret nach Situationen gefragt, in denen sie sich stark gefordert oder überfordert fühlen. Dabei wurde unter anderem das spontane Übernehmen eines Bildungsseminars genannt. Dieser Fall tritt ein, wenn eine Bildungsreferentin/ein Bildungsreferent vor dem eigenen Seminar erkrankt und eine Kollegin/ein Kollege einspringen muss. Unsere Arbeitsweisen in der Vorbereitung sind darauf ausgelegt, dass die Einheiten übernommen werden können, sodass die größte Herausforderung darin liegt, die Gruppe nicht zu kennen. Auch für die Freiwilligen ist es eine Umstellung, eine fremde Referentin/einen fremden Referenten auf dem Seminar zu haben. Es besteht das Risiko, dass die Vertrauensbasis nicht schnell genug aufgebaut werden kann und sich die Freiwilligen gegebenenfalls nicht sicher genug fühlen, Probleme und Unwohlsein anzusprechen. Die Honorarkräfte/Co-Referet:innen stellen in diesem Fall insofern einen Schutzfaktor dar, als dass sie der Gruppe schon vertraut sind und eine Brücke zwischen den Teilnehmenden und der Bildungsreferentin/dem Bildungsreferenten herstellen können.

4.c mit den Honorarkräften

Wie bereits in Kapitel zwei beschrieben, handelt es sich bei den Honorarkräften um Studierende im Alter von 20 bis 26, die als Co-Referent:innen unsere Bildungsseminare begleiten. Auf Grund des geringeren Altersabstands und der Position, dass sie den Freiwilligen gegenüber weniger weisungsbefugt sind als die Bildungsreferent:innen, haben sie häufig eine engere Beziehung zu den Freiwilligen. Das Seminarteam kontrolliert sich gegenseitig in dem pädagogischen Handeln und es findet täglich eine Reflexion statt, bei der Eindrücke und Wahrnehmungen zur Gruppe und zum Team geteilt und verglichen werden. Daher sind die Honorarkräfte eine wichtige Instanz, um die Seminare zu einem geschützten Raum zu entwickeln. Die Risiko- und Potenzialanalyse mit den Honorarkräften haben wir in zwei Teilen durchgeführt.

Der erste Teil wurde in Präsenz in einer Gruppenarbeit im Rahmen des Co-Referent:innen-Tags zur Zwischenreflexion am 27.01.2024 durchgeführt. Wir habe dafür die Methode “Täter:innen (un-) freundliches Seminar” durchgeführt. Dabei wurden die Teilnehmenden in zwei Gruppen unterteilt und hatten die Aufgabe, aus der Sicht eines Täters/einer Täterin zu überlegen, welche Momente oder Orte auf den Seminaren von Täter:innen ausgenutzt werden können, um Macht und Gewalt auszuüben (Gruppe 1) beziehungsweise in welchen Momenten oder Orten auf den Seminaren dies nicht möglich ist (Gruppe 2). Die Ergebnisse wurden gemeinsam diskutiert mit der anschließenden Überlegung, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit die Ergebnisse der ersten Gruppe verhindert werden können. Den zweiten Teil der Risiko- und Potenzialanalyse haben wir in Form eines anonymen online Fragebogens durchgeführt. Dadurch konnten wir die Einschätzungen aller Honorarkräfte einholen und haben ihnen die Möglichkeit gegeben, anonym ihre Einschätzungen abzugeben. Die Ergebnisse beider Analysen zeigen verschiedene Risiken und Potenziale, die im Folgenden aufgeführt werden.

Auf den Seminaren teilen sich die Freiwilligen in der Regel zu zweit bis viert ein Zimmer. Auch die sanitären Anlagen werden entweder pro Zimmer geteilt oder mit der gesamten (binär geschlechtergetrennten) Gruppe an Freiwilligen. Nach Einschätzung der Co-Referent:innen stellt dies ein Risiko dar. Gewalt innerhalb der Peer-Gruppe kann an diesen Orten ohne die Kenntnisnahme der (Co-)Referent:innen durchgeführt werden. Die Bildungshäuser, die wir mit den Freiwilligendiensten belegen, haben eine eingeschränkte Anzahl an Zimmern, weswegen wir nur in Ausnahmefällen Einzelzimmer für die Freiwilligen zur Verfügung stellen können. Wir sind darauf angewiesen, dass sich die Freiwilligen an uns wenden und von Problemen berichten. Einen dahingehenden Schutzfaktor sehen die befragten Co-Referent:innen darin, dass das Seminarteam viel Arbeit in eine vertrauensvolle Beziehung zu den Freiwilligen investiert und eine offenen Fehlerkultur schafft, in der die Freiwilligen keine Angst haben müssen, ihr Unwohlsein anzusprechen und eigene Bedürfnisse nach Grenzen zu äußern.

Mit Hilfe dieses Umstands können wir einem weiteren von den Co-Referent:innen genannten Risikofaktor begegnen: Da die Seminare zu der Arbeitszeit der Freiwilligen gehören, gibt es Zwangssituationen, in denen die Teilnehmer:innen an Methoden oder Einheiten teilnehmen müssen. Dabei wurden besonders die spirituellen Impulse und die Präventionsschulungen als Zwangskontexte genannt, in denen die Grenzen der Freiwilligen überschritten werden könnten. Ein weiteres Risiko für Grenzverletzungen stellen die Kooperationsspiele dar, die wir auf jedem Seminar durchführen. Wie es bei erlebnispädagogischen Gruppenelementen üblich ist, gibt es hier häufig Spiele oder Elemente, bei denen die Teilnehmenden Körperkontakt miteinander aufnehmen (zum Beispiel aufeinander abstützen, um zu balancieren oder nah beieinanderstehen), was für einige Teilnehmende unangenehm sein kann. Wir versuchen dem entgegenzugehen, indem wir den Zwang herausnehmen und bei der Einleitung betonen, dass die Teilnahme nicht verpflichtend ist und jede:r ohne Erklärung oder rechtfertigende Kommentare aussetzen kann. Die Co-Referent:innen geben allerdings die Einschätzung ab, dass es für die Teilnehmenden eine Hürde darstellt, dieses Angebot anzunehmen und haben Bedenken, dass es einen unausgesprochenen Gruppenzwang zur Teilnahme geben kann.

Ein Schutzfaktor, der diesem Bedenken entgegenwirken kann, ist die Partizipation. Auf den Seminaren werden die Freiwilligen zu verschiedenen Zeitpunkten in unterschiedlichem Maß in Entscheidungen einbezogen. Beispiele hierfür sind die Freiwilligenkonferenz, die Themenwahl für das kommende Seminar und die Planung des Bunten Abends. Außerdem holen wir uns häufig Feedback ein und geben den Freiwilligen die Möglichkeit, anonym Rückmeldungen zu geben. Diese Rückmeldungen berücksichtigen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten. Die Themen, zu denen wir die Seminare veranstalten, werden von der Gruppe gewählt, können jedoch für einzelne Freiwillige durch persönliche Vorbelastung oder aus anderen Gründen sehr sensibel sein. Bei Themen wie psychische Erkrankungen, Diskriminierung oder Tod und Trauer bieten wir daher häufig mehrere Workshops an, aus denen die Freiwilligen dann selbstständig den auswählen, an dem sie teilnehmen. Dadurch geben wir ihnen die Chance, niedrigschwellig und ohne es ansprechen zu müssen, sensible Themen zu vermeiden. Mithilfe dieser Methode schützen wir die Freiwilligen davor, dass sie sich mit Unwohlsein auslösenden Themen auseinandersetzen müssen und ihre persönlichen Grenzen verletzt werden.

Auf den Seminaren gibt es immer mal wieder Situationen, in denen ein Freiwilliger/eine Freiwillige allein mit einer (Co-)Referentin/einem (Co-)Referenten ist. Das können Gespräche sein, bei denen die Freiwilligen vertraulich über Probleme (privat oder von der Arbeit) sprechen möchten oder beispielsweise, wenn die Freiwillige mit dem Bulli gefahren werden (Shuttle zum/vom Bahnhof oder Fahrten zu einer ärztlichen Behandlung). Solche Situationen stellen immer ein Risiko dar, da es ein besonders Maß an (emotionaler) Nähe und Abhängigkeit gibt, die von potenziellen Täter:innen leicht ausgenutzt werden kann. Diesem Risiko begegnen wir, indem wir im Anschluss an Einzelgespräche oder Autofahrten im Team besprechen, ob es besondere Zwischenfälle gab. Unsicherheiten können auf diese Weise schnell besprochen und durch eine gemeinsame Einschätzung von Situationen ausgeräumt werden. Die regelmäßige Reflexion und offene Fehlerkultur im Team stellen ein Schutzpotenzial dar. Durch sie findet eine gegenseitige Kontrolle statt und Täter:innen haben im Team wenig Raum, unentdeckt zu bleiben. Auch die Transparenz und die hohe Sensibilität für das Thema sexualisierte Gewalt innerhalb der Teams stellen ein Schutzpotenzial dar. Wir informieren uns eigenständig gegenseitig, wenn es eine Situation mit Freiwilligen gab, bei der es ein außergewöhnliches Maß an Nähe gegeben hat (z.B. eine von Freiwilligen gewünschte tröstende Umarmung). Dadurch, dass wir mit solchen Momenten im Team transparent umgehen, entstehen keinen “geheimen Momente” mit Freiwilligen, die häufig der Beginn von weiterem, grenzverschwimmendem Verhalten sind. 100% der befragten Co-Referent:innen gaben an, bei Fehlverhalten von Freiwilligen die Bildungsreferent:innen einzubeziehen. Daran ist zu erkennen, dass die Honorarkräfte über ihren Verantwortungsbereich und auch dessen Grenzen aufgeklärt sind und auch bei Fehlverhalten der Freiwilligen eine Transparenz im Team herrscht. Das Wissen und die Achtsamkeit der (Co-)Referent:innen zu grenzverletzendem und grenzwahrendem Verhalten wird alle fünf Jahre durch eine verpflichtende Teilnahme an Präventionsschulungen aufgefrischt. Diese Regel stellt ein institutionelles Schutzpotenzial dar.

4.d mit den Anleiter:innen

Sind die Freiwilligen nicht mit uns auf den Seminaren, arbeiten sie in den Einsatzstellen. Dabei handelt es sich um Einrichtungen aus den Bereichen Kindertagesbetreuung, Altenpflege, Behindertenhilfe, Kinder- und Jugendhilfe, Schulen und Einrichtungen der Obdachlosenhilfe. In der Einsatzstelle arbeiten sie (im Rahmen der Möglichkeiten an Verantwortungsübernahme) als vollwertiges Teammitglied. Ihre Arbeitskraft ist dabei arbeitsmarktneutral einzusetzen und nicht als Ersatz für eine ausgebildete Fachkraft anzusehen. Besonders in der Einarbeit aber auch darüber hinaus werden sie durch eine zu Beginn festgelegte Anleitungsperson betreut. Zwischen ihnen erfolgen regelmäßige Anleitungsgespräche, um die Entwicklung der Freiwilligen zu reflektieren und um beiden Seiten einen Raum zu geben, mögliche Veränderungsbedarfe zu benennen. Da die Anleiter:innen die Ansprech- und Bezugspersonen der Freiwilligen in den Einsatzstellen sind, spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Gewährleistung des Schutzes der Freiwilligen. Die Anleiter:innen stehen außerdem mit den Bildungsreferent:innen in einem Austausch über den Verlauf des Freiwilligendienstes und sind verpflichtet, Vorfälle von Grenzverletzungen und Gewalt an die Referent:innen heranzutragen. Dementsprechend muss auch ihre Perspektive bei der Implementierung dieses Schutzkonzepts berücksichtigt werden. Die Risiko- und Potenzialanalyse mit den Anleiter:innen wurde mit einem Fragebogen durchgeführt. Der digitale Fragebogen wurde im Rahmen des Workshoptags für Anleiter:innen am 25.01.2024 durch die Teilnehmenden anonym ausgefüllt. Anschließend gab es für die Anleiter:innen, die beim Workshoptag nicht anwesend waren, die Möglichkeit online an der Umfrage teil zu nehmen. Die Personen wurden per Mail über die Umfrage informiert. Insgesamt haben 32 Anleiter:innen an der Analyse teilgenommen. Aus den Ergebnissen der Umfrage ließen sich die im Folgenden aufgeführten Risiko- und Schutzfaktoren herausarbeiten.

Ein Schutzfaktor für die Freiwilligen liegt in der Beziehungsgestaltung mit den Anleiter:innen. Die befragten Anleiter:innen legen viel Wert auf die Entwicklung eines guten Vertrauensverhältnisses und unterstützen dies unter anderem durch regelmäßige Gespräche und eine gute Feedbackkultur. Für den Aufbau einer solchen Beziehung ist eine regelmäßige Zusammenarbeit notwendig. 55% der Befragten arbeiten täglich und 39% der Befragten arbeiten mehrmals pro Woche mit den Freiwilligen zusammen. Auch das Selbstverständnis der Anleitungsperson als Vorbild und als feste Ansprechperson stellt einen Schutzfaktor dar. Besonders in der Phase der Einarbeitung ist es für den Schutz der Freiwilligen grundlegend, dass die Anleitungen den Freiwilligendienst als Lern- und Orientierungsphase und als einen sensiblen Zeitraum anerkennen. Entsprechend langsam werden die Freiwilligen an neue Aufgaben herangeführt, die erklärt, vorgemacht, begründet und kontrolliert werden. Teil der Einarbeitung ist ebenfalls die Kommunikation von Beschwerdewegen. Dabei werden den Freiwilligen die entsprechenden Personen vorgestellt, um eine offene Haltung zu demonstrieren und um das Gesprächsangebot niedrigschwellig zu halten.

Arbeitet die Anleitungsperson nicht regelmäßig mit den Freiwilligen zusammen, erschwert das nicht nur die Beziehungsgestaltung, sondern stellt darüber hinaus einen generellen Risikofaktor dar, aus dem sich mehrere Gefahrenpotenziale ergeben. Viele der befragten Anleiter:innen gaben an, dass in ihrer Abwesenheit alle anderen (fertig ausgebildeten) Kolleg:innen für die Freiwilligen ansprechbar und zuständig sind. Daraus ergeben sich nach ihrer Aussage aber häufig Unsicherheiten bezüglich der Zuständigkeit. Die Freiwilligen wissen nicht, an wen sie sich bei Fragen wenden können, und teilweise kommt es dazu, dass ihnen von verschiedenen Kolleg:innen unterschiedliche und widersprüchliche Aufgaben gegeben werden. Es besteht außerdem das Risiko, dass den Freiwilligen Aufgaben übergeben werden, die sie nicht übernehmen können und/oder dürfen und sie allein in nicht einschätzbare Situationen geschickt werden. Der Grund hierfür liegt in einer fehlenden Information des Teams darüber, was die Aufgabenbereiche der Freiwilligen umfasst. Bei fehlender Aufklärung können Frustration unter den Mitarbeiter:innen gegenüber den Freiwilligen und Verunsicherung und Minderwertigkeitsgefühle bei den Freiwilligen resultieren. Die Anleiter:innen können diesem Risiko begegnen, indem sie die Kolleg:innen wiederholt darauf hinweisen, dass die Freiwilligen kein Fachwissen mitbringen und ihre Aufgaben entsprechend angepasst werden müssen. Ein Schutzfaktor, der dieses Risiko verringern kann, ist eine transparente Kommunikation der Aufgabenbereiche, beispielsweise durch eine Verschriftlichung in einem (analogen oder digitalen) Ordner für die Freiwilligen oder durch Kalendereinträge. Auch eine Teamsitzung oder Dienstbesprechung kann ein geeigneter Ort sein, die Arbeitsbereiche der Freiwilligen mit allen zu kommunizieren. Dabei ist es wichtig, dass die individuellen Fähigkeiten und Ressourcen der Freiwilligen berücksichtigt und eingesetzt werden.

Einen weiteren Risikofaktor aus der Perspektive der Anleiter:innen stellt die Position der Freiwilligen im Team als die (in der Regel) Jüngsten und Neusten dar. Dadurch wird das Macht- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Freiwilligen und den Mitarbeiter:innen noch verstärkt. Besonders Situationen, in denen die FW allein mit einer Kollegin/einem Kollegen in einem Raum sind, könnten Gefahren einer Grenzverletzung bergen. Es kann zu verbaler Gewalt oder (zu viel unerwünschtem) Körperkontakt kommen. Aufgrund des hierarchischen Verhältnisses könnten Freiwillige sich anschließend nicht trauen, das Geschehene zu melden. Ein Schutzfaktor, mit dem man diesem Risiko begegnen kann, ist eine gute Einbindung der Freiwilligen in das Team. Erleben die Freiwilligen ein Gefühl von Zugehörigkeit und fühlen sie sich wohl und in ihren Sorgen und Probleme ernst genommen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich (auch in Abwesenheit der Anleitungsperson) bei Grenzverletzungen an eine Bezugsperson wenden.

Eine niedrigschwellige Möglichkeit, Probleme, Sorgen und Bedürfnisse anzusprechen, bieten den Freiwilligen die Anleitungsgespräche. Diese Gespräche können von den Anleiter:innen genutzt werden, um aktiv nach der Arbeitsbelastung und schwierigen Situationen zu fragen. Außerdem bieten sie einen gesetzten Rahmen, um die Freiwilligen über Gefahren und Risiken aufzuklären und ihre Grenzen zu erfragen, wodurch die Anleitungsgespräche einen Schutzfaktor darstellen. Im Rahmen der Einarbeitung oder einem der ersten Anleitungsgespräche müssen die Freiwilligen über das Schutzkonzept der Einrichtung informiert werden. Die Ergebnisse der Fragebögen ergaben, dass nach Aussagen der Anleiter:innen in vielen Einrichtungen das Schutzkonzept nicht ausreichend und für die Freiwilligen verständlich und nachvollziehbar besprochen wird. Häufig erhalten die Freiwilligen die Aufgabe, es eigenständig zu lesen. Die Komplexität eines Schutzkonzepts und der Thematik sexualisierte Gewalt stellen dabei in den überwiegenden Fällen eine Überforderung dar und die Inhalte werden nicht verstanden. Andere Anleiter:innen gaben hingegen an, dass es in ihren Einrichtungen verpflichtende Schulungen zum Thema sexualisierter Gewalt und deren Prävention durch das jeweilige Schutzkonzept gibt, an denen auch die Freiwilligen teilnehmen müssen. Dies kann genauso wie eine detaillierte Besprechung im geschützten Rahmen mit der Anleitung dazu führen, dass die Freiwilligen das Schutzkonzept verstehen. Dies wiederum stellt einen Schutzfaktor sowohl für die Klient:innen als auch für die Freiwilligen dar, da sie dadurch Beschwerdewegen und Schutzmaßnahmen kennenlernen.

Die Anleitung von Freiwilligen beansprucht nicht nur Zeit, sondern auch Geduld, Einfühlungsvermögen und ein hohes Maß an Sensibilität. Aufgrund der Belastung durch den Beruf und einem häufig stressigen Alltag kann es dadurch in verschiedenen Momenten zu einer Überforderung der Anleiter:innen kommen. Bei erhöhtem Arbeitsaufwand und Zeitstress bleibt den Anleiter:innen häufig keine andere Möglichkeit, als mit den Freiwilligen nur kurze Gespräche zu führen und ihre Begleitung hinter andere Aufgaben anzustellen. Eine weitere Überforderung kann entstehen, wenn Freiwillige von eigener Erfahrung mit sexualisierter Gewalt berichten. Hat die Anleitung in diesen Momenten keine Kapazitäten oder Ressourcen, angemessen zu reagieren, stellt dies einen Risikofaktor dar. Unterstützungen können die Anleiter:innen durch ihre Leitung, Kolleg:innen oder Supervision erhalten. Auch die Bildungsreferent:innen der Freiwilligendienste im Erzbistum Hamburg stehen den Anleiter:innen ebenso wie die Stabstelle Prävention oder externe Beratungsstellen bei Fragen oder Unterstützungsbedarf zur Seite.

Die Anleiter:innen erhalten durch die Freiwilligendienste darüber hinaus Unterstützung in Form des Anleitungsmaterials. Dies umfasst Methoden, Gesprächsleitfäden und weitere Orientierungshilfen für die Anleitung von Freiwilligen und stellt damit einen Schutzfaktor dar. Auch die Vorschriften darüber, welche Aufgabenbereiche die Freiwilligen nicht übernehmen dürfen, sind hier zu finden. Dies stellt für die Anleiter:innen eine Unterstützung dar, da sie somit eine Legitimationsgrundlage gegenüber Teammitgliedern haben, wenn wie oben beschrieben Aufgaben übertragen werden, die die Zuständigkeit von Freiwilligen überschreiten.

Ein von den Anleiter:innen mehrfach genannter Risikofaktor für die Freiwilligen sind Situationen, in denen sie mit Klient:innen allein sind. Das Risiko dieser Situationen wird erhöht, wenn die Freiwilligen körperpflegerische Tätigkeiten übernehmen. In einigen Bereichen arbeiten die Freiwilligen mit Menschen, die (aufgrund psychischer Erkrankungen/Demenz/Behinderung) eine veränderte Hemmschwelle oder kein Gespür für emotionale und physische Grenzen haben. Dadurch entsteht für die Freiwilligen das Risiko, in für sie unberechenbaren Momenten Grenzverletzungen durch Klient:innen zu erfahren. Diesem Risiko begegnen die befragten Anleiter:innen, indem sie vor der Übertragung solcher sensiblen Aufgaben nachfragen, ob sich die Freiwilligen damit unwohl fühlen und indem sie transparent kommunizieren, dass die Freiwilligen die Aufgabe ohne negative Folgen ablehnen können. In einigen Einrichtungen ist klar geregelt, dass Freiwillige körpernahe Aufgaben wie wickeln oder waschen nicht übernehmen. Auch eine solche Regel stellt einen deutlichen Schutzfaktor dar.

Ein geschützter Raum, in dem Risikofaktoren minimiert werden, zeichnet sich immer durch eine gute Fehlerkultur aus. Von den befragten 32 Anleiter:innen gaben 100% an, dass die Freiwilligen bei ihnen Fehler machen und diese offen und angstfrei ansprechen können. Fehler werden als Chance gesehen, um nach einer gemeinsamen Reflexion zu lernen und nach vorne zu schauen. Die dahinterliegende Frage ist „Was brauchst du, damit es nicht wieder passiert?”. Außerdem sollte auch die Anleitung hinterfragen, was zu diesem Fehler geführt haben kann und was nötig ist, um ihn in Zukunft zu vermeiden. Die Anleiter:innen geben darüber hinaus an, dass bei Bedarf weitere Personen wie Beratungslehrer:innen oder Leitungspersonen zur Klärung von Fehlern und möglichen Konflikten hinzugezogen werden. Bei Unsicherheiten im Umgang mit Fehlverhalten der Freiwilligen geben die Anleiter:innen an, sich Unterstützung bei dem Team der Freiwilligendienste im Erzbistum zu holen. Diese Bereitschaft, sich Hilfe zu holen, stellt ebenso wie die positive Fehlerkultur einen Schutzfaktor dar.

An der Risiko- und Potenzialanalyse haben von circa 130 Anleiter:innen 32 Personen teilgenommen. Damit sind die Ergebnisse nicht repräsentativ und wir können nicht davon ausgehen, dass in allen Einrichtungen die aufgeführten Risiken und Potenziale herrschen. Umso wichtiger ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den Bildungsreferenet:innen und den Anleiter:innen. Erfahrungsgemäß sind die Freiwilligen in den Einrichtungen, deren Anleiter:innen an unseren Angeboten teilnehmen und die regelmäßig mit uns in den Austausch gehen, in ihrem Dienst zufriedener und erleben eine problemfreiere Zeit. Für den Rest ist es umso wichtiger, dass die Referent:innen eine gute Beziehung zu den Freiwilligen aufbauen, damit diese sich im Falle von Probleme an sie wenden und gemeinsam und lösungsorientiert an einer Verbesserung der Situation gearbeitet werden kann.

5. Beschwerdeverfahren/-management

Beschwerdestrukturen sind Teil der Intervention und müssen von Kindern und Jugendlichen niedrigschwellig genutzt werden können. Organisationen und Einrichtungen, die leicht zugängliche Beschwerdeverfahren anbieten, zeigen, dass ein Bewusstsein für potenzielle Probleme aller Art vorhanden ist und dass die Kinder und Jugendlichen mit diesen Problemen jederzeit zu den Fachkräften kommen können. Durch die Niedrigschwelligkeit wird gewährleistet, dass angesprochene Probleme frühzeitig erkannt werden können und eine schnelle und angemessen Intervention erfolgen kann. In einem Schutzkonzept sollte zusätzlich konkret für das Thema der sexualisierten Gewalt eine Ansprechperson in der Einrichtung und eine Person außerhalb der Einrichtung aufgeführt werden. Die externe Beschwerdemöglichkeit ist besonders für einrichtungsinterne Fälle sexualisierter Gewalt notwendig. Eine Auflistung der Ansprechpersonen in den und außerhalb der Freiwilligendienste ist im Anhang zu finden.

6. Personalverantwortung, Fort- und Weiterbildungen

In den Freiwilligendiensten arbeiten derzeit acht Personen, davon eine Person in der Leitung, fünf Bildungsreferent:innen und zwei Personen in der Verwaltung.

Bei der Einstellung von neuen Mitarbeiter:innen (festangestellt und frei) wird dem Anspruch nach Personalverantwortung in Bezug auf Prävention gerecht, indem erweiterte Führungszeugnisse eingeholt werden und schon im Einstellungsverfahren Kinderschutzfragen thematisiert werden. Die erweiterten Führungszeugnisse müssen alle fünf Jahre erneut vorgelegt werden. Außerdem unterschreiben alle neuen Mitarbeiter:innen eine Selbstauskunftserklärung. Das Onboarding der neuen Festangestellten beinhaltet die Thematisierung des Schutzkonzepts und die anschließende Unterzeichnung des Verhaltenskodex. Die frei angestellten Honorarkräfte werden bei den jährlich stattfinden Einführungsveranstaltungen über die Inhalte des Schutzkonzepts aufgeklärt.

Weiterhin meint Personalverantwortung in diesem Zusammenhang, dass in Teamsitzungen, Mitarbeitendengesprächen und im pädagogischen Alltag eine Kultur der Offenheit und Reflexion herrscht, bei der mit kritisch-konstruktiven Blick Risikofaktoren wie das Nähe-Distanz-Verhalten analysiert werden und in der es Raum für Austausch und Fragen gibt.

Sowohl Hauptamtliche als auch Angestellte auf Honorarbasis benötigen ausreichendes und umfangreiches Wissen über Gefährdungspotenziale von sexualisierter Gewalt, um für das Thema sensibilisiert zu werden und mit Verdachtsfällen umgehen zu können. Dafür sind regelmäßige Fortbildungen notwendig, bei denen sinnvoll ist, Leitungskräfte und Mitarbeiter:innen getrennte Fortbildungen besuchen zu lassen. Den Grund hierfür benennen Christiansen und Theunissen (2020) darin, dass Leitungen einen anderen Fokus und andere Verpflichtungen haben (zum Beispiel Dienst- und Beschwerdeaufsicht) und sich Mitarbeiter:innen in Schulungen womöglich nicht öffnen möchten, wenn ihre Vorgesetzten anwesend sind. Eine verpflichtende Fortbildung ist die Präventionsschulung, die alle fünf Jahre wiederholt werden muss. Leitungskräfte und hauptamtliche Referent:innen besuchen zweitägige Schulungen (2×6 Stunden), Honorarkräfte benötigen eine eintägige Schulung (1×6 Stunden). Darüber hinaus werden den hauptamtlichen Mitarbeiter:innen (externe) Schulungen ermöglicht, um sie in der Begleitung von Freiwilligen mit psychischen Erkrankungen zu stärken oder sie für Rassismus zu sensibilisieren. Dies sind nur zwei Beispiele der vielfältigen Möglichkeiten für Fortbildungen, aus denen die Bildungsreferent:innen sich je nach Bedarf welche aussuchen können.

Innerhalb des pädagogischen Teams wird eine „präventionsbeauftragte“ Person bestimmt, die bei kollegialer Beratung primäre Ansprechperson ist und die Präventionsangebote im Blick behält. Diesen Posten hält Johanna Fass inne (Stand 2024). Diese Person ist auch für das Qualitätsmanagement des Schutzkonzepts und die alle fünf Jahre stattfindende Evaluation zuständig. Eine Evaluation des Konzepts erfolgt auch nach jedem Vorfall.

7. Verhaltenskodex

Die Risiko- und Potenzialanalysen haben ergeben, dass für den Schutz vor sexualisierter Gewalt ein besonderer Fokus auf die Bildungsseminare gelegt werden muss. Aus diesem Grund haben wir einen Verhaltenskodex entwickelt, der Regeln für ein angemessenes und grenzwahrendes Verhalten für Situationen aufführt, die gemäß der Risikoanalyse von Täter:innen ausgenutzt werden könnten. Dieser Kodex wurde im pädagogischen Team entwickelt und wird von allen festangestellten und freien Mitarbeiter:innen unterzeichnet, die Seminare begleiten.

Der Verhaltenskodex der Freiwilligendienste ist im Anhang dieses Schutzkonzeptes zu finden.

8. Notfallplan: Intervention, Aufklärung und Aufarbeitung von Verdachtsmomenten

Dieses schriftlich fixierte Verfahren wird konkret eingehalten, wenn ein Verdacht auf sexualisierte Gewalt aufkommt. Der Plan beinhaltet das Vorgehen, an wen sich in welcher Reihenfolge gewandt wird und welche Schritte eingehalten werden müssen, um den Schutz aller Beteiligten zu wahren. Eine übersichtliche Darstellung ist außerdem als Notfallplan im Anhang zu finden. Weiterhin beinhaltet dieses Kapitel die Darstellung ein Rehabilitationsverfahrens, das befolgt wird, wenn sich der Verdacht als unbegründet herausstellt.

In diesem Kapitel wurden einzelne Passagen aus dem ehemaligen Schutzkonzept des nicht mehr bestehenden Referats Kinder und Jugend im Erzbistum Hamburg übernommen, da das dort beschriebene Vorgehen auch für unsere Strukturen noch aktuell und korrekt ist.

8.a Umgang mit Grenzverletzung

Zufällige und unbeabsichtigte Grenzverletzungen können korrigiert werden. Die grenzverletzende Person kann aufgrund der Reaktion der bzw. des Betroffenen, der eigenen Wahrnehmung oder durch eine Rückmeldung von Dritten das eigene Verhalten reflektieren, sich entschuldigen und das eigene Verhalten zukünftig ändern. Wenn eine Grenzverletzung beobachtet wird, muss das grenzverletzende Verhalten gestoppt und als solches benannt werden. Ziel der Intervention ist die Beendigung der Grenzverletzung, eine Unterstützung der betroffenen Person und die Einsicht und Verantwortungsübernahme durch die grenzverletzende Person. Weitere Schritte können die gemeinsame Erarbeitung einer Verhaltensalternative und die Verabredung von klaren Regeln sein. Dies ist insbesondere bei Grenzverletzungen unter den Jugendlichen ein wichtiger pädagogischer Auftrag.

Das kollegiale Ansprechen von grenzverletzendem Verhalten, von Überforderungssituationen oder anderem fachlichen Fehlverhalten eröffnet immer die Möglichkeit der Reflexion und einer Verhaltenskorrektur. Fachliche Anleitung, Fortbildung, Supervision, Dienstanweisungen und grenzachtende institutionelle Regeln vermeiden und/oder korrigieren Grenzverletzungen aus Unachtsamkeit oder Unwissenheit. In der Praxis ist die Bewertung einer Grenzverletzung, das heißt das Erkennen der Grenze zwischen Nähe und Distanz, im Team und mit der Leitung in einem gemeinsamen Prozess auszuhandeln.

Führt das kollegiale Ansprechen zu keiner Veränderung, ist die Unterstützung der Leitung notwendig. In ihrer Verantwortung liegt es, Maßnahmen und gegebenenfalls Regeln oder Strukturen zu schaffen, die diese Grenzverletzungen grundsätzlich verhindern, und darüber hinaus einzuschätzen, ob externe Hilfe zur Reflexion und Veränderung des grenzverletzenden Verhaltens notwendig ist. In diesem Zusammenhang sind mögliche Maßnahmen wie Ermahnung oder Abmahnung, Freistellung von Beauftragungen bis hin zur Kündigung zu überprüfen. Bei diesen Schritten wird die Leitung von der Kompetenzbereichsleitung sowie der Stabstelle Prävention und Intervention unterstützt.

8.b Verdacht auf Übergriffe zwischen den Freiwilligen (Peergewalt)

Durch die besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich der Prävention gegen sexualisierte Gewalt rückt auch grenzverletzendes oder sexuell übergriffiges Verhalten unter den Freiwilligen in den Fokus. Die jungen Erwachsenen, die von dieser Form der Peergewalt betroffen sind oder diese ausgeübt haben, bedürfen der gleichen Aufmerksamkeit wie die Betroffenen von sexualisierter Gewalt durch Erwachsene. Ein solches Vorkommnis erfordert das gleiche Maß an Intervention und Aufarbeitung. Ein genaues Vorgehen für die Seminare ist im Anhang zu finden. Ebenso die Handlungsempfehlung der Stabstelle Prävention, die als Grundlage für die Entwicklung dieses Vorgehens diente.

8.c Verdacht auf Übergriffe durch das Team

Sexuelle Übergriffe geschehen mit Absicht. Die übergriffige Person setzt sich deutlich über verbale, nonverbale oder körperliche Widerstände des Opfers hinweg, ebenso wie über unsere institutionellen Regeln und fachliche Standards in diesem Schutzkonzept. Sexuelle Übergriffe können strafrechtlich relevant sein. Kommt es zu einem Verdacht, muss eine der unabhängigen Ansprechpersonen für Fragen zum sexuellen Missbrauch informiert werden. Neben unserem eigenen Handlungsleitfaden im Anhang gilt der vorgeschriebene Verfahrensweg bei einem Verdacht auf sexualisierte Gewalt durch Kleriker, Ordensangehörige oder sonstige Mitarbeitende des Erzbistums (s. Anhang).

8.d Rehabilitatoinsverfahren bei ausgeräumtem Verdacht

Der Verdacht auf sexualisierte Gewalt löst eine Vielzahl heftiger Emotionen und Verunsicherung aus. Ein Verdacht muss immer ernst genommen und überprüft werden. Das bedeutet, dass alle Maßnahmen zum Schutz des möglichen Opfers ergriffen werden müssen. Bis zur Klärung der Beschuldigung besteht jedoch auch die Unschuldsvermutung. Sprachlich verpflichtet dies zu einer sorgfältigen Verwendung der Begriffe „Beschuldigte:r“ und „Täter:in“. Der Begriff „beschuldigte Person“ impliziert, dass es auch eine fälschliche Beschuldigung geben kann und der Verdacht oder die erhobenen Vorwürfe falsch sein können. Auch der beschuldigten Person gegenüber besteht die Pflicht zur Fürsorge. Für sie gilt die Unschuldsvermutung, bis das Gegenteil erwiesen wurde. Diese Unschuldsvermutung bedeutet jedoch nicht, dass auf erforderliche und unmittelbare Maßnahmen verzichtet werden muss. Ganz im Gegenteil muss unter Umständen zum Schutz des möglichen Opfers und der beschuldigten Person sehr schnell gehandelt werden. Sollte sich der Verdacht als eine fälschliche Beschuldigung herausstellen, beginnt das Rehabilitationsverfahren. Eine fälschliche Beschuldigung ist für die beschuldigte Person, ihr privates und institutionelles Umfeld eine hohe Belastung und eine krisenhafte Erfahrung. Die Rehabilitation einer beschuldigten Person wird immer von der Stabstelle Prävention und Intervention begleitet. Die Leitung sucht das Gespräch mit dem/der fälschlich Beschuldigten und informiert in Absprache mit dem jeweiligen Kompetenzbereich und seinen Teamleitungen alle Stellen und Personen, die an der Intervention beteiligt waren, über das Ausräumen des Verdachts. Diese Gespräche werden dokumentiert. Die fälschlich beschuldigte Person, das Team und die Gruppe bekommen die Möglichkeit der Aufarbeitung mit einer externen Fachkraft. Die Leitung der Freiwilligendienste informiert die zu Unrecht beschuldigte Person über die Möglichkeiten der Unterstützung durch das Erzbistum für die Aufarbeitung (Beratung, Begleitung, rechtliche Unterstützung). Dem/Der fälschlich Beschuldigten wird angeboten, sein/ihr Tätigkeitsfeld bzw. den Einsatzbereich zu wechseln. Alle Aufzeichnungen, die auf die fälschliche Beschuldigung verweisen, werden gelöscht. Bei hauptamtlichen Mitarbeitenden wird ihnen die Einsichtnahme in die vollständige Personalakte angeboten. Davon unberührt bleibt das Prinzip des Ansprechens und Öffnens des Themas im Team und der sorgfältigen Klärung, was zu dieser Beschuldigung geführt hat.

9. Auflistung der Kooperation von Fachleuten

Zuständige Präventionsbeauftrage bei den Freiwilligendiensten

Johanna Fass

Telefon: 040 22 72 16 71

Mail: johanna.fass@erzbistum-hamburg.de

Stabstelle Prävention und Intervention des Erzbistums Hamburg

Monika Stein, Leiterin Referat Prävention

Telefon: (040) 248 77 -462 oder 0163 248 77 43

E-Mail: praeventionsbeauftragte@erzbistum-hamburg.de

monika.stein@erzbistum-hamburg.de

Dr. Klaus Kottmann, Interventionsbeauftragter des Erzbistums Hamburg

Telefon: (040) 248 77 251 oder 0163 248 77 25

E-Mail: intervention@erzbistum-hamburg.de

Unabhängige Ansprechpersonen im Erzbistum Hamburg

Das Büro der unabhängigen Ansprechpersonen für Fragen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener in kirchlichen Einrichtungen erreichen Sie unter der Rufnummer 0162 326 04 62 oder per E-mail an buero.ansprechpersonen@erzbistum-hamburg.de.

Sie bieten Information und Beratung an und unterstützen bei der Antragstellung auf Leistungen in Anerkennung des Leids, das Opfern sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde.

externe Beratung

Hilfetelefon sexueller Missbrauch: Telefon 0800 22 55 530, www.save-me-online.de

Nummer gegen Kummer: Beratungsangebote für Kinder, Jugendliche und Eltern in ganz Deutschland, Telefon 116 111, www.nummergegenkummer.de

Hilfeportal Sexueller Missbrauch: www.hilfeportal-missbrauch.de

Wildwasser – Verein gegen sexuellen Missbrauch: www.wildwasser.de

Zartbitter Köln e.V.: Kontakt & Informationsstelle gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen, www.zartbitter.de

Präventionsbüro Petze: Dänische Straße 3-5, 24103 Kiel, Telefon 0431 911 85, www.petze-kiel.de

10. Anhang

10.a Verhaltenskodex

Da die meisten Risiken unserer Arbeit im Rahmen der Seminarwochen festgestellt wurden, richtet sich der Verhaltenskodex an die Verantwortlichen dieser Wochen: das Seminarteam bestehend aus Bildungs- und Co-Referent:innen, welche die Seminare planen und begleiten. Verhaltensweisen, die sich auf die Haltung der Mitarbeitenden und den Umgang mit den Freiwilligen beziehen, gelten selbstverständlich auch über die Seminare hinaus.

1. Meine Zusammenarbeit mit den Freiwilligen ist geprägt von Wertschätzung und Respekt: Ich achte die Rechte der Freiwilligen und erkenne ihre Individualität an.

2. Mir ist bewusst, dass die Größe der Gruppe und das vorgegeben Rahmenprogramm es erschweren, für alle Freiwillige gleichermaßen einzutreten. Einzelne Freiwillige beanspruchen die Aufmerksamkeit des Seminarteams mehr als andere Freiwillige. Die Verteilung der eigenen Ressourcen darf dabei nicht aufgrund von Sympathien stattfinden. Weiterhin achte ich darauf, dass Freiwillige, die sich nicht proaktiv melden und deren Dienst scheinbar problemlos abläuft, nicht aus unserem Blick geraten.

3. Ich übernehme Verantwortung für das Wohlergehe der Freiwilligen und bin aufmerksam, um mögliche Grenzverletzungen frühzeitig zu entdecken. In diesem Fall treffe ich notwendige Maßnahmen, um den Schutz der Freiwilligen zu gewährleisten. Bei der Planung von Einheiten und Methoden wie beispielsweise Kooperations- und erlebnispädagogischen Übungen, die Körperkontakt beinhalten, achte ich darauf, dass die Freiwilligen untereinander ihre Grenzen respektieren und diese von Beginn der Einheiten und währenddessen jederzeit kommunizieren können.

4. Die Arbeit auf dem Seminaren basiert auf einem vertrauensvollen Verhältnis zwischen Freiwilligen und (Co-)Referent:innen. Dabei achte ich auf professionelles Nähe-Distanz-Verhältnis und bin mir meiner Autoritätsstellung stets bewusst. Diese Abhängigkeit nutze ich nicht aus und ich missbrauche das Vertrauen der Freiwilligen nicht.

5. Im Rahmen meiner Stellung als Autoritäts- und Ansprechperson positioniere ich mich klar gegen jegliches sexistische, rassistische, anderweitig diskriminierendes und gewalttätiges Verhalten. Regeln und mögliche Konsequenzen werden von mir transparent und mindestens zu Beginn der Veranstaltung an alle Teilnehmenden kommuniziert.

6. Innerhalb unseres Seminarteams informieren wir uns gegenseitig über Situationen mit Freiwilligen, die das Risiko einer Grenzverletzung beinhalten (vier-Augen-Gespräche, Bulli-Fahrten etc.). Als Bildungsreferent:in habe ich dabei immer die Hauptverantwortung und wende mich bei Beratungsbedarf an meine Seminarvertretung oder die Leitung. Als Co-Referent:in bin ich mir meiner Pflicht bewusst, Verdachtsfälle und Mitteilungen von Freiwilligen an die Bildungsreferent:innen weiterzugeben.

7. Als Bildungsreferent:in bemühe ich mich um eine gute Beziehung zu den Anleitungen der Freiwilligen in den Einrichtungen, da sie außerhalb der Seminare für das Wohl der Freiwilligen zuständig und im Rahmen der Kooperationsvereinbarung an der Fürsorgepflicht beteiligt sind.

8. Wenn ich Kenntnis von einem Sachverhalt erlange, der den Verdacht auf sexualisierte Gewalt nahelegt, halte ich mich an den Interventionsleitfaden.

Durch meine Unterschrift verpflichte ich __________ (Name in Druckbuchstaben) mich zur Einhaltung dieses Verhaltenskodexes.

10.b Interventionsleitfaden

Wenn ein:r (freie:r) Mitarbeiter:in der Freiwilligendienste von einem Fall sexualisierter Gewalt erfährt, sind je nach Umstand verschiedene Schritte einzuleiten. Generell gilt: unsere Aufgabe ist es nicht, eine kriminalistische Aufklärung des Falls durchzuführen. Wir hören den Betroffenen zu und sorgen dafür, dass sie durch uns als Ansprechperson ernst genommen werden. Co-Referent:innen geben ihnen anvertraute Vorfälle immer an die zuständigen Bildungsreferent:innen weiter.

Variante A: Ein:e Freiwillige:r berichtet von einem Vorfall im privaten Umfeld

1. Information aufnehmen, ohne die betroffene Person auszufragen.
2. Sicherheit der betroffenen Person gewährleisten: ist die Person in Gefahr, sobald sie nach dem Seminar nach Hause fährt?
3. Hat die Person Unterstützung? Beratungsstellen nennen.
4. Ist die Person minderjährig -> Leitung informieren, sie übernimmt ab diesem Zeitpunkt. Beratung mit einer insofern erfahrenen Fachkraft (InSoFa) und gegebenenfalls Kindeswohlgefährdung beim Jugendamt melden.
5. Ist die Person volljährig? -> Leitung informieren, sie steht beratend zur Seite.
6. Gespräch dokumentieren und datenschutzkonform ablegen.

Variante B: Ein:e Freiwillige:r berichtet von einem Vorfall in der Einsatzstelle

1. Information aufnehmen, ohne die betroffene Person auszufragen.
2. Sicherheit der betroffenen Person gewährleisten: ist die Person in Gefahr, sobald sie nach dem Seminar in die Einsatzstelle geht?
3. Hat die Person Unterstützung? Beratungsstellen nennen.
4. Information der Leitung und der Stabstelle Prävention.
5. Ist die Person minderjährig -> Beratung durch InSoFa und gegebenenfalls Kindeswohlgefährdung beim Jugendamt melden.
6. Einsatzstelle einbeziehen: wird ein:e Mitarbeiter:in der Einsatzstelle beschuldigt, ist die Einsatzstelle für das Vorgehen verantwortlich. Im Sinne der Kooperationsvereinbarung arbeiten die Einsatzstelle und die FWD dabei in engem Kontakt zusammen um die Sicherheit der freiwilligen Person zu gewährleisten. Dafür werden klare und verbindliche Absprachen zum weiteren Vorgehen getroffen.
7. Sicherheit anderer Freiwilliger gewährleisten: arbeiten in der gleichen Einsatzstelle weitere Freiwillige, ist ihre Sicherheit zu überprüfen. Dabei gilt es, die Schweigepflicht gegenüber der bereits betroffenen Person zu wahren.
8. Absprachen für die Zukunft: wie sieht die weitere Zusammenarbeit zwischen den Freiwilligendiensten und der Einsatzstelle aus und muss verändert werden, um die Wiederholung des Vorfalls zu verhindern.
9. Vorfall dokumentieren und datenschutzkonform ablegen.

Variante C: Ein:e Freiwillige:r berichtet von einem Vorfall auf einem unserer Bildungsseminare

1. Information aufnehmen, ohne die betroffene Person auszufragen
2. Sicherheit der betroffenen Person gewährleisten: besteht akute Gefahr durch die beschuldigte Person?
3. Sicherheit der anderen Freiwilligen gewährleisten: besteht für sie Gefahr durch die beschuldigte Person?
4. Information der Leitung und der Stabstelle Prävention
5. Ist die Person minderjährig -> Beratung durch InSoFa und ggf. Kindeswohlgefährdung beim Jugendamt melden
6. Aufarbeitung in der Seminargruppe ermöglichen
7. Vorfall dokumentieren und datenschutzkonform ablegen.

Darüber hinaus gilt der aus dem Schutzkonzept der Stabstelle Prävention entworfene Verfahrensablauf bei Verdacht auf sexualisierte Gewalt durch Mitarbeiter_innen des Erzbistums Hamburg.

11. Literatur

Christiansen, Sabine/Theunissen, Bea (2020). Gelingende Implementierung- Zur Bedeutung der Qualifizierung pädagogischer Fachkräfte im Kontext Schutzkonzept. In: Martin Wazlawick, Bernd Christmann, Maika Böhm, Arne Dekker (Hrsg.). Perspektiven auf sexualisierte Gewalt. 1. Auflage. Wiesbaden: Springer Verlag, S. 153-168

Eßer, Florian/Rusack, Tanja (2020). Schutzkonzepte und Sexualkultur in Institutionen. In: Martin Wazlawick, Bernd Christmann, Maika Böhm, Arne Dekker (Hrsg.). Perspektiven auf sexualisierte Gewalt. 1. Auflage. Wiesbaden: Springer Verlag, S. 13-28

Eßer, Florian/Rusack, Tanja/Schröer, Wolfgang (2018). Sexualisierte Gewalt in der Kinder- und Jugendarbeit. In: Alexander Retkowski, Angelika Treibel, Elisabeth Tuider (Hrsg.). Handbuch Sexualisierte Gewalt und pädagogische Kontexte. 1. Auflage. Weinheim Basel: Beltz Juventa Verlag, S. 451-459

Schlicher, Ariane (2020). Sexueller Missbrauch – Beratung und Prävention. 1. Auflage. Weinheim Basel: Beltz Juventa Verlage

Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (2022). www.beauftragte-missbrauch.de/themen/schutz-und-praevention/schutzkonzepte (letzter Aufruf: 22.07.2024)

Zartbitter e.V. www.zartbitter.de/gegen_sexuellen_missbrauch/Praeventionstheater/610_poster_praeventionsmaterialien.php (letzter Aufruf: 22.07.2024)


[1] https://erzbistum-hamburg.de/pdf/Abteilung_Recht/Praevention/Praevention-DBK.pdf

[2] Das Niels-Stensen-Haus wird jeweils nur von einer Gruppe besucht. Tagsüber befinden sich die Mitarbeiterinnen des Hauses dort, nachts sind wir mit der Gruppe allein im Haus.

[3] https://freiwilligendienste-erzbistum-hamburg.de/rahmen-und-regeln-im-seminar/